Pressebericht Stemweder Zeitung 26-2-19.
SPD-Bundestagsabgeordneter Achim Post setzt auf Frans Timmermans als EU-Kommissionspräsidenten
Espelkamp/Madrid (WB). Achim Post ist nicht nur direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Minden-Lübbecke, SPD-Fraktionsvize und Vorsitzender der NRW-Landesgruppe. Der 59-Jährige ist auch Generalsekretär der Sozialdemokratischen Parteien Europas (SPE). Am Wochenende hat die SPE in Madrid ihr Programm für die Europawahl am 26. Mai beschlossen. Andreas Schnadwinkel hat mit Achim Post über die Bedeutung der Wahl, mögliche neue Bündnisse und über seine Rolle gesprochen.
Wie groß ist Ihr Einfluss als Generalsekretär der Sozialdemokratischen Parteien Europas auf schwierige Parteifreunde wie in Rumänien und Großbritannien?
Achim Post: Eine europäische Parteienfamilie, ob die christdemokratische oder die sozialdemokratische, ist kein einheitlicher Block. Da gibt es wie in jeder Familie auch schwierige Verwandte. Als SPE versuchen wir natürlich, Einfluss zu nehmen, indem wir mit den Parteichefs und den entscheidenden Politikern in den Ländern sprechen. Es ist wie sonst auch im Leben: Zuerst versucht man es im Guten.
Sind die in Rumänien regierenden Sozialdemokraten, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft haben, für die SPD so etwas wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán für CDU und CSU?
Post: Jedes Land ist anders, und jede Partei ist anders. Orbán versucht seit längerem und leider auch mit einigem Erfolg, die gesamte ungarische Gesellschaft in seinem Sinne zu organisieren und zu kontrollieren. In Rumänien liegen die Dinge anders, da ist aus meiner Sicht die Korruption das größte Problem, in die leider auch die regierenden Sozialdemokraten verstrickt sind. Auch wenn es mit Ungarn nicht zu vergleichen ist, ist das ohne jeden Zweifel eine ernste Angelegenheit und wird innerhalb der europäischen Sozialdemokratie eindeutig und klar thematisiert.
Schon die Europawahl 2014 war die wichtigste Wahl aller Zeiten, und am 26. Mai dieses Jahres soll das schon wieder gelten. Was läuft da alle fünf Jahre schief, dass jedes Mal mit solchen Superlativen Wahlkampf gemacht wird?
Post: Wir in Ostwestfalen neigen ja nicht zu Übertreibungen. Deswegen würde ich nicht sagen, dass es sich um die allerwichtigste Wahl aller Zeiten handelt. Aber es ist eine wirklich wichtige Europawahl, weil wir in schwierigen Zeiten mit schwierigen Partnern wie Trump, Putin und Erdogan umgehen müssen. Daher wäre es gut, wenn Europa stärker zusammenhalten würde und die demokratischen Kräfte den nächsten EU-Kommissionspräsidenten stellen. Wir dürfen Europa nicht den Nationalisten überlassen. Schon von daher kommt es auf jede Stimme bei der Europawahl an.
Die Umfragen deuten an, dass die informelle Große Koalition ihre Sitzmehrheit im Europaparlament verlieren wird. Welche neuen Bündnisse könnten sich ergeben?
Post: Es gibt unterschiedliche Varianten, um Mehrheiten zu organisieren. Sozialdemokraten und Christdemokraten hätten zum Beispiel mit den Liberalen oder den Grünen absehbar eine solide Mehrheit. Nicht ganz ausgeschlossen ist aber auch eine Art Euro-Ampel aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Das wäre aber voraussichtlich sehr knapp. Das Europaparlament ist nicht mit dem Bundestag oder Landtagen gleichzusetzen, in denen auch mit einer Stimme Mehrheit regiert werden kann. Das funktioniert in Brüssel nicht, weil sich die Fraktionen aus unterschiedlichen nationalen Parteien zusammensetzen.
Aus Frankreich zieht »En Marche«, die Bewegung des Präsidenten Emmanuel Macron, ins Europaparlament ein, und womöglich auch eine Gruppe der »Gelbwesten«. Wie schätzen Sie das ein?
Post: Bei den »Gelbwesten« weiß man noch nicht, ob sie zur Wahl antreten werden. Außerdem ist vollkommen unklar, wie sie sich politisch positionieren und welcher Parteienfamilie und Fraktion sie sich anschließen würden. Macrons »En Marche« geht wahrscheinlich zur liberalen ALDE-Fraktion, bringt aber nicht mehr so viel auf die Waage, wie Präsident Macron sich das noch vor einem halben Jahr vorgestellt hat.
Wie stehen die Chancen, dass der nächste EU-Kommissionspräsident ein Sozialdemokrat ist?
Post: Realistisch betrachtet gibt es durchaus die Chance, dass Frans Timmermans es werden kann. Er ist ein gestandener Politiker, der Europaminister und Außenminister der Niederlande war und über sehr große Parlamentserfahrung verfügt. Kommissionspräsident wird am Ende nicht zwangsläufig der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion, sondern derjenige, der eine Mehrheit des Parlaments hinter sich versammelt. Und da ist durchaus was möglich für Timmermans. Die Parteienlandschaft in Europa ist in Bewegung, neue Mehrheiten sind möglich.
Der deutsche CSU-Mann Manfred Weber gegen den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans: Könnte es am Ende eine lachende Dritte geben, nämlich die liberale dänische EU-Kommissarin Margrethe Vestager?
Post: Zumindest gilt sie als Macrons Favoritin. Aber Margrethe Vestager hat als Dänin einen entscheidenden Nachteil: Dänemark ist kein Euro-Land. Und in Zeiten wie diesen muss Europa den Kern und die Eurozone stärken. Deswegen muss meiner Meinung nach an die EU-Spitze eine Frau oder ein Mann aus einem Euro-Land.
Sind Ihre britischen Parteifreunde von Labour in Sachen Brexit genau so gespalten wie die britischen Konservativen?
Post: Labour ist ebenfalls gespalten. Und das liegt auch am Mehrheitswahlrecht. Labour hat Wahlkreise gewonnen, die für den EU-Austritt sind, und solche, die gegen den EU-Austritt sind. Das spiegelt sich dann auch in der Haltung der jeweiligen direkt gewählten Abgeordneten. Es war ja in den vergangenen Tagen zu sehen, dass sich von beiden Lagern einzelne Parlamentarier abgespalten haben.
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Justizministerin Katarina Barley, ist bekannter als der Unionsspitzenkandidat Manfred Weber von der CSU. Kann das Prozentpunkte bringen?
Post: Der Bekanntheitsgrad ist ein großer Vorteil, und Katarina Barley kommt auch bei den Leuten gut an. Wenn wir das mit einem guten Programm und einigen starken Themen verbinden, können wir daraus in der Tat etwas machen.
Ostwestfalen-Lippe droht sein Mandat im Europaparlament zu verlieren. Was bedeutet es für eine Region wie OWL, wenn sie in Brüssel nicht mehr vertreten ist?
Post: Das wäre für uns in OWL ganz schlecht. Und wenn es tatsächlich so kommen sollte, dann müssten wir parteiübergreifend überlegen, wie wir diesen strukturellen Nachteil ausgleichen könnten. Wir sind eine wirtschaftlich starke Region mit zwei Millionen Menschen und müssen in Europa vertreten sein.